Der Vorrang des Unionsrechts und die Rechtskraft nationaler Individualrechtsakte
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Der moderne Rechtsstaat ist vom Dualismus von genereller und individueller Norm bestimmt: Gerichte und Verwaltungsbehörden haben die vom Gesetzgeber geschaffenen generellen Normen zu individualisieren und zu konkretisieren. Am Ende dieses Prozesses steht eine verwaltungsbehördliche Entscheidung – in Österreich als Bescheid bezeichnet – oder ein gerichtliches Urteil. Im Regelfall unterliegen diese Rechtsakte einer Überprüfung durch mehrere Instanzen. Nach Beendigung des verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Instanzenzuges sind diese Entscheidungen im Allgemeinen unanfechtbar und unabänderbar.
Die Überprüfbarkeit verwaltungsbehördlicher oder gerichtlicher Rechtsakte im Instanzenzug soll deren Richtigkeit – will heißen: Gesetzmäßigkeit – sicherstellen. Hat die letzte Instanz entschieden, soll Rechtssicherheit eintreten: Die Betroffenen sollen sich auf den Bestand dieser Rechtsakte verlassen können. Dies gilt auch dann, wenn der letztinstanzliche Rechtsakt möglicherweise nicht der Rechtsordnung entspricht und daher rechtswidrig ist. Das positive Recht versucht zwar die Rechtmäßigkeit der Vollziehung durch ein Rechtsschutzsystem sicherzustellen, nimmt aber im Interesse der Rechtssicherheit letztlich bestimmte Rechtswidrigkeiten in Kauf. Die Rechtskraft – gelegentlich auch als „Bestandskraft“ bezeichnet – kann im Allgemeinen nur mehr bei sehr schweren Mängeln durchbrochen werden; etwa dann, wenn der betreffende Akt durch strafbare Handlungen herbeigeführt wurde oder in seinen Auswirkungen geradezu unerträglich wäre